Schon früh verloren die deutschen Gewässer unter Wasser ihre Ruhe. 1841, im schleswig-holsteinischen Unabhängigkeitskrieg, kamen die ersten Seeminen zum Einsatz. Holzfässer, mit 250 Kilogramm Pulver bestückt und sechs Meter unter der Wasseroberfläche verankert, sollten den Kieler Hafen vor der dänischen Flotte schützen. Durch einen Zufall explodierte eine Mine vorzeitig. Gewissenhaft wurden die materiellen Schäden an Hab und Gut begutachtet und dokumentiert – der Tod in Umwelt und Natur war keine Notiz wert. Diese Sichtweise partieller Betroffenheit ist bis heute bei vielen Entscheidungsträgern fest im Kopf verankert.
Munitionssprengungen: Tod und Verderben für unsere Schweinswale
Detonierende Kampfmittel im Meer beschränken sich nicht auf Kriege, sondern sind auch in Friedenszeiten eine stete Gefahr. Mindestens 1,6 Millionen Tonnen Munition lagern noch heute in unseren Küstengewässern und warten auf eine Sanierung. Gewillt ist jedoch niemand, dieses tödliche Problem zu lösen. Stört Munition bei der wirtschaftlichen Nutzung der Meere – z.B. beim Bau von Offshore-Windparks – wird meistens nur heiß saniert, indem die Munition einfach gesprengt wird.
Ökologische Aspekte werden dabei größtenteils verdrängt, obwohl schon aus Zeiten der Dynamitfischerei bekannt sein dürfte, dass jede größere Unterwasserdetonation auf Grund ihrer starken Druckwelle, gefolgt von einem Schallimpuls mit einem extrem kurzen Anstieg des Schallsignals, auch enorme Schäden in Natur und Umwelt verursacht. Und je größer die Sprengladung ist, desto größer ist der Radius, in dem Tod und Verderben Wirkung entfalten.
Besonders betroffen sind Fische, Meeressäuger und tauchende Seevögel: Bei der Sprengung einer Seemine mit 350 Kilogramm Sprengstoff, der einen Spitzenschalldruckpegel von 293 dB erzeugt, erleiden die Tiere in einem Umkreis von etwa vier Kilometern erhebliche Verletzungen. Zum Vergleich: Die Schmerzgrenze beim Menschen liegt bei 130 dB. Geplatzte Schwimmblasen, Lungenrisse und innere Blutungen sind bei den Tieren die Folgen, die oftmals zum Tod führen. Dauerhafte Gehörschäden und Schwierigkeiten bei der Orientierung sind vor allem bei Meeressäugern in noch deutlich größeren Entfernungen zu erwarten, mit allen negativen Konsequenzen für deren Fortbestand.
Was tun die Behörden?
Das Munitionssprengungen ökologische Katastrophen auslösen, ist den Behörden endlich bewusst. Trotzdem soll am Konzept „heiße Sanierung“ festgehalten werden. Zumindest will man aber versuchen, die Auswirkungen einer Sprengung zu minimieren. Aus diesem Grund wurde ein Pilotprojekt in Schleswig-Holstein gestartet, in dem bei Sprengungen die Anwendung geeigneter Schallschutzmaßnahmen getestet werden sollte. Nach fünf Jahren innovativer Untersuchungen und Tests ist klar: Bei richtiger Anwendung kann Schallschutz mit einem so genannten Blasenschleier (Schlauchring mit sprudelnden Luftblasen um den Munitionskörper) den Todesradius einer Detonation um rund 90 Prozent beziehungsweise die betroffene Fläche um mehr als 95 Prozent reduzieren.
Aber Blasenschleier und ergänzende Vergrämungsmaßnahmen sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Obwohl die Wirkung einer Sprengung durch sprudelnde Luftblasen beachtlich minimiert wird, bleibt die Maßnahme trügerisch. Schwere Verletzungen sind weiterhin kilometerweit möglich; und ein überraschendes Versagen der Blasenschleiertechnik gerade zum Zeitpunkt der Detonation ist leider immer gegeben. Und immer wieder lässt die „rauhe“ See einen Einsatz der (teuren und zeitaufwendigen) Blasenschleiertechnik nicht zu, gesprengt werden kann aber noch…
JEDE Sprengung erzeugt „Giftwolken“ unter Wasser
Ungelöst ist bis heute die Frage der Schadstoffeinträge in die Wassersäule und damit in die Nahrungskette. Jahrzehntelang im Meer gelagerter Sprengstoff – der für Mensch und Umwelt hochgiftig ist – ist oftmals wassergesättigt, so dass bei einer Detonation nur ein geringer Teil umgesetzt wird, der Großteil jedoch mehr oder weniger fein zerstäubt als „Giftwolke“ unter Wasser marines Leben bedroht und durch keinen Blasenschleier aufgehalten wird. Ein ähnliches Phänomen, wie es auch für die gesamte langsam aber sicher durchrostende Munition am Grund unserer Nord- und Ostsee gilt.
Auch wenn viele Details über den Verbleib der giftigen Munitionschemikalien in der marinen Nahrungskette noch nicht geklärt sind. Erste Untersuchungen belegen, dass bestimmte Munitionsinhaltsstoffe signifikante ökotoxikologische Wirkungen bei Wirbellosen schon unterhalb der chemischen Nachweisgrenze zeigen. Aktuell berichteten Forscher vom Hamburger Thünen-Institut für Fischereiökologie, dass im Munitionsversenkungsgebiet Kolberger Heide am Ausgang der Kieler Förde (in dem auch häufig Sprengungen durchgeführt werden) gefangene Klieschen eine mehr als fünffach höhere Rate von Lebertumoren hatten als in drei Vergleichsgebieten. Guten Appetit!
Stefan Nehring
Zum Nachlesen und vieles mehr…
⇒ Die Qual der Wale (WATERKANT | Sonderdruck PDF | Heft 2 – 2012)
⇒ Kampfstoff – frisch auf den Tisch (WATERKANT | Sonderdruck PDF | Heft 4 – 2014)
⇒ TNT – frisch auf den Tisch (WATERKANT | Sonderdruck PDF | Heft 2 – 2017)